Die EU-Schuldenmacherei – Lösung, Problem, dickes Ende?


Das permanente Streben der romanischen EU Staaten, das Schuldenmachen zu erleichtern...

Die Süddeutsche (19.01.2022) hat das Thema aufgegriffen und festgestellt die vehementen Bemühungen der Mittelmeerländer die (Nordische) Schuldendisziplin aufzuweichen, dauern an. Es dürfe nicht übersehen, dass „wir“ weiter Schulden anhäufen, was keine gute Lösung sein dürfte. Das wars auch schon mit der Kritik.

Warum sind wir in dieser Situation?

Es steigen die Ansprüche der Gesellschaften schneller als ihre Bereitschaft dafür (Steuern) zu bezahlen. In vielen Staaten ist die Loyalität der Bürger zum Staat und den "oberen 1 000“ nicht gegeben, weil Korruption und Ähnliches dazu führen, dass - im Zweifel - dem„Staat“ das "Seine" vorenthalten wird. Dies als unveränderbar hinzunehmen, macht die EU nicht stärker, im Gegenteil.

Und ja es kommen neue und diesmal globale, epochale Projekte dazu, die von mehreren Generationen gestemmt werden müssen nicht nur von einer. Hiere sind Schulden angebracht.

Wir sehen, dass manche Staaten dem Wettbewerb Asiens nicht gewachsen sind.

Die Frage ist, bis zu welcher Grade die Solidarität der stabilen EU-Staaten reicht und Transfers fließen können.

Schulden, ein paar Gedanken dazu

Nun, es kommt auf die Verzinsung an, 1% oder 7% auf 10-jährige Staatsanleihen, macht einen Unterschied. Bei einem Prozent kann man - für die Last von 7% - natürlich weit mehr Schulden aufnehmen. Und es kann Zwangslagen geben, wo mehr Schulden sein müssen um die „bad governance“ mancher Staaten auszugleichen, weil sonst noch mehr kaputt ginge. Eine üble Wahl. Und es gibt keinerlei Theorie, die Null-Zinsen-Wirtschaft bisher durchdacht hat.

Das allererste Mal in der Menschheitsgeschichte, haben wir die Situation einer Null-Zins-Wirtschaft.

Auch das islamische „Zinsverbot“ ist Augenauswischerei, da man das Ganze als Geschäftsgewinn konstruiert – man kauft das Darlehen mit Gewinn zurück … .

Es bleibt nur der Hausverstand: die Mehrheit der Finanzmarktteilnehmer wird ab einer gewissen Höhe der Schulden und Wirtschaftsstärke des Schuldners, kalte Füße bekommen und keine Anleihen mehr zeichnen. Aber dahinter steht die EZB, die alle Schulden absorbieren kann? Wirklich - ohne Schaden für uns alle. Das finanzielle perpetuum mobile?

Die Aufweichung der Finanzdisziplin wächst

Aufweichung Nr. 1: Schon bei Beginn des Maastrichtvertrages, lag mancher Staat mit seinen Schulden über 60% des BIP.

Es hat Draghi 2012 mit seiner „What ever it takes“- Rede (26.07.2012) den Vertrag von Lissabon gebrochen, das war Aufweichung Nr. 2: Er setze die „no bail out“-Klausel außer Kraft, also den Artikel 136 AEUV. Das kann mancher als gerechtfertigt ansehen, da die Politik erstarrt war und die schwachen Staaten nicht willens oder in der Lage waren, konsumtive Staatsausgaben zu zügeln, die immer wieder versprochenen Reformen durchzusetzen oder genügend Steuern einzutreiben. Gegenleistung "good governance", blieb aus. Das jährliche "good governance"-Screening der Weltbank sagt, praktisch keine Verbesserung seit 2012. Und die „Disziplinierten“, sich davor scheuten ein „Hitlerbärtchen“ hingemalt zu bekommen, machten sie mehr Druck, schwiegen. Natürlich ist "good governance" eine Herkulesaufgabe, man sähe aber doch gerne mal erste ernsthafte Schritte, auch im Sinne der Akzeptanz der EU, denke ich.

Maastricht

Die Verschuldungsgrenze von 60% wurde 1992 im Maastricht-Vertrag (in Kraft 01.11.1993) „über den Daumen“ festgelegt. Die Staatsverschuldung Deutschlands betrug 1992 40% von BIP , in Frankreich ähnlich, in Italien 105% v. BIP in Belgien 130%, in Schweden 68%, alle anderen lagen unter der 60% Grenze! Bevor der Maastricht Vertrag paraphiert worden ist mussten folgende Zinsen bezahlt werden: Deutschland auf 10 jährige Anleihen 7,8% 5, Italien dagegen 12,1 % 6. Das war dramatisch. Die Mitgliedschaft in der Eurozone glich die Zinsen sofort an. Der Deutschland -Effekt.

Das Anleihekaufprogramm

Erleichterung Nr. 3, das Anleihekaufprogramm ab Ende 2014. Der Zins sank vor allem durch die Geldschwemme auf < 1%. Zum Nutzen der Verschuldungsmöglichkeiten der schwachen Länder. Heute braucht Italien nur mehr 0,81 % auf 10-jährige Papiere an Zins zu zahlen, Deutschland -0,20%. Noch weitere Aufweichungen nötig? Mit dem großen Corona-Paket – 800 Mrd. € -kam die vierte „Erleichterung“ binnen zehn Jahren, die EU-Haftung für diese Anleihen. Auch das kann mancher als gerechtfertigt ansehen – mit Blick auf deutsche EU-Exporte…

Übrigens, wohin das Geld genau fließt, nachdem die Staaten ihre Anleihen begeben haben und sie am Sekundärmarkt zum großen Teil von der EZB aufgekauft werden, darüber habe ich noch nie etwas konkretes erfahren können …

Was hält die EU zusammen?

1 Solange der Nutzen (funktionierende Absatzmärkte) größer ist als die damit einhergehenden Stützungsmaßnahmen.

2. Solange Transfers in die ärmeren Länder einerseits als gerade noch machbar andererseits als gerade noch ausreichend, erscheinen.

3. Solange die Finanzmärkte die EU als einen soliden Schuldner wahrnehmen.

4. Solange man erkennt, dass Gefahren von außen am besten doch durch koordinierte Abwehr gemeistert werden können.

5. Solange die extreme Rechte – wie LePen in Frankreich - nicht die Regierungsgewalt bekommt.

6. Die Trägheit des Faktischen und der unzähligen Vernetzungen wirkt. Aber es geht auch anders : Brexit

Sicher nicht brüsseler Rhetorik-Offensiven.

Wie gegensteuern gegen Schuldenmacherei?

1. Nun erst mal Reformen, denke ich. Die schwachen Staaten – und es kommen noch schwächere - „Westbalkan“- dazu müssen sich dazu aufraffen und „good governance“ von Nord- und Mitteleuropa lernen. Es wäre einfach einen „best practise -Transfer von der EU aus anzustoßen, eingebunden in eine große EU Digitalisierungs-Initiative. Dazu stehen doch Mittel aus dem Corona-Topf bereit?

2. Und es muss eine transparente Deckelung der „Transfers“ geben. Herrn Lindners leichter Fuß auf der Bremse ist richtig. Es ist letztlich Deutschlands Kosten/Nutzen-Erwägung: Transfers gegen Kaufkraft in den EU-Märkten. Man darf gespannt sein.

Also dickes Ende oder nicht?

Das kann wohl keiner so ganz genau sagen. Ich denke, es hängt davon ab, ob wir uns weiterhin blind von Asien die Arbeitsplätez wegnehmen lassen im Gefolge einer völlig überzogenen "Freihandelsideologie" - von den politischen Abhängigkeiten, die jetzt so richgtig zu Tage treten ganz zu schweigen. Auch davon ob wir es schaffen, dass die Wanderungsbeswegung innerhalb der EU in die "reicheren" Staaten nicht überhand nimmt. Ob wir die Lasten von Klimamaßnahmen und Maßnahmen zur Schonung von Umwelt und Ressourcen sozialvertäglich schultern können. Und ob die EU entschlossen genug und zäh dafür sorgt, dass sich "good governance" durchsetzen kann und damit wieder in den schwächeren EU Staaten wieder ein Investitionsklima entsteht, das Investitionen anziehen kann.

Quellen:

1 good governance - https://info.worldbank.org/governance/wgi/Home/Reports

2 https://de.wikipedia.org/wiki/EU-Konvergenzkriterien

3 https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsverschuldung_Deutschlands und

4 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/4878/umfrage/bruttoinlandsprodukt-von-deutschland-seit-dem-jahr-1950/

5 https://debito-pubblico.blogspot.com/2011/10/il-debito-pubblico-italiano-dal-1983-al.html

6 https://de.investing.com/rates-bonds/germany-10-year-bond-yield

7 http://www.dt.mef.gov.it/export/sites/sitodt/modules/documenti_it/debito_pubblico/dati_statistici/Principali_tassi_di_interesse_1992.pdf

8 SZ 11.01.22

9 SZ 11.01.22

10 https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Staatsschuldenquote

Dr. Johannes Rauter 06.02.2022