„Politik der Feindschaft“ 2017, A. Mbembe – der große Aufreger! Weswegen genau?


Ist alles gleich Antisemitismus, was Israel kritisiert? Nein, wie israelische Intellektuelle befanden

Der Antisemitismusbeauftragte, Felix Klein, befand, Herr Mbembe habe sich des Antisemitismus schuldig gemacht. Auch Herr Schuster (ZRJ) schloss sich dem an. Dann haben jüdische Gelehrte diese Angriffe scharf verurteilen. Klein sei unqualifiziert als Antisemitismusbeauftragter.

Mbembe hatte eine Autorin zitiert, Idith Zertal, (Israelische Historikerin, die als eine der "neuen Historikerinnen" gilt) mit deren Publikation, “Israels Holocaust and the politics of nationhood. Cambridge, 2010, auf Deutsch erschienen: Nation und Tod. Der Holocaust in der israelischen Öffentlichkeit, Göttingen 2011. Und diesen Titel, der wohl den Unterdrückungs-/Verwaltungssapparat für Palästinenser bezeichnen soll, den gleich mit dem Holocaust zu vergleichen, ist das korrekt? Eine Israelin darf das vielleicht.

Der Knaller ist ein anderer: Der weisse Westen betreibt eine Politik der Feindschaft, eine klare Ansage

Taz: "Mbembe wurde in Deutschland ernst genommen, gefeiert und mit Preisen überschüttet". Das nenne ich dekadent: Mit Preisen zu schmeißen und dann am Büffet über die nächste Fernreise plaudern.

Mbembe – wer?

Nun interessiert aber doch, was denn dieser, einer breiteren Öffentlichkeit völlig unbekannte Autor, denn so denkt. Achille Mbembe, ist ein kamerunischer Historiker, Politikwissenschaftler und Theoretiker des Postkolonialismus. Mbembe studierte ab 1982 Geschichte an der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne und promovierte dort im Jahre 1989 im Fach Geschichte. Danach ging er 1986 für drei Jahre als Assistent an die Columbia University in New York. Es folgte eine einjährige Tätigkeit in Washington, D.C., an der Brookings Institution, bevor er an die University of Pennsylvania in Philadelphia, Pennsylvania, ging. An der University of California, Berkeley, der Yale University in New Haven, Connecticut, und der Duke University in Durham, North Carolina, unterrichtete er zeitweilig während seines Aufenthalts in den USA. 1996 wurde Mbembe an den in Dakar, Senegal, ansässigen Council for the Development of Social Science Research (CODESRIA) gerufen. 2001 begann er seine Tätigkeit am neu eingerichteten Institute of Social and Economic Research (WISER) an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg in Südafrika. (Wikipedia). 2019 hielt Mbembe als Albertus-Magnus-Professor eine Vorlesungsreihe an der Universität Köln.[Wikipedia].

Hier der Versuch, die gesamte Argumentation aus "Politik der Feindschaft" etwas nachzuzeichnen

Ziel und Ausdrucksweise in „Politik der Feindschaft“

Er will die Sicht des großen Denkers und Kritikers des Kolonialismus, Frantz Fanon, und dessen Anliegen ins Heute fortschreiben und eine Fanon‘sche Kritik am Heute vorlegen, scheint mir.

Zu seinem Schreibstil sagt er: „Ich habe nichts gefunden, was für diesen Zweck besser geeignet wäre als eine bildhafte Sprache, die zwischen Schwindel, Auflösungen, Zerstreuung schwankt. Eine Sprache, die aus ineinander verschlungeneren Schleifen besteht und deren Kanten und Linien sich jeweils in ihrem Fluchtpunk treffen,“ (S 20).

Ich habe in diesen Bildwelten nur mit großer Mühe Bruchstücke von Grundpositionen, Erfahrungen und einer Argumentation gefunden und nach bestem Vermögen zusammengetragen.

Zum Verständnis, seine Voreinstellungen

Als Afrikaner und Wissenschaftler des Kolonialismus ist dies der primäre Blickwinkel. Die Welt nimmt er besonders wahr in der Abgrenzung gegen die „Anderen“, jene die nicht zu uns (wer ist uns? Der Westen?) gehören. Grenzen, Apartheit die er überall wahrnimmt, treiben ihn um. „Den Kern der aktuellen Trennungsprojekte (Absonderung von Flüchtlingen, Palästinensern etc. JR) bildet also eine Vernichtungsangst“. (S 84).

Fluch des Geburtsortes. Herr Mbembe schreibt auf Seite 228: „Das Land unserer Geburt (hier Afrika) tragen wir tief in uns … „ und weiter aus Seite 231 „… der weg ging, sein Land verließ, anderswo lebte, im Ausland an Orten, die er zu einer echten Bleibe für sich machte und dadurch sein Schicksal mit dem jener Menschen verband, die ihn aufnahmen und in seinem Gesicht ihr eigenes erkannten, das einer kommenden Menschheit“. „Und was ist denn Freiheit, wenn man nicht wirklich brechen kann mit diesem Zufall, an einem bestimmten Ort geboren zu sein – dem leibhaften Verhältnis, dem Gesetz des Bodens und des Blutes …. warum bestimmt er so entscheidend welche Rechte wir haben … vom Existenzrecht über das Recht sich frei zu bewegen, bis hin zu dem Recht, dort zu sein wohin das Leben uns am Ende geführt hat“. (S 229). Mbembe lebte in Kamerun, in Frankreich, in den USA, und lehrt heute in Südafrika.

Seine übergreifende Logik, wie ich vermute

Die Demokratien in Europa haben ihren Grundsatz „Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit“ selber mit Füßen getreten, in dem sie diese nicht für die „Andern“, sondern nur für sich selbst gelten ließen. Dies war ein Fluch, der die Büchse der Pandora kurz nach dem Ende der Kolonialzeit öffnete in Form von Aufständen, Terror, Islamismus. Damit begann man den Krieg dagegen – we are at war - (Drohnen-Exekutionen, Unterdrückungssysteme) und die Einschränkung der Freiheiten zu rechtfertigen. Es entstehen dabei Schutzmaßnahmen, die nun in letzter Konsequenz wieder zur Abschaffung der Demokratie führen könnten. So interpretiere ich die Grundeinsicht des Autors.

Das was wir heute erleben an Unruhe und Feindseligkeiten stammt schon aus der Zeit der Kolonisation, die bis in die 1960 iger Jahre reichte, in der der „Andere“ nur als minderwertig wahrgenommen worden sei. Als jemand, mit dem man dann schalten und walten konnte nach Belieben. Diese Demütigungserinnerung bricht sich heute wieder Bahn, wie im Islamismus. Und die Demokratien haben dann nur eine Antwort: Abschottung, Definition von Feindbildern, Gegengewalt und nicht einen neuen Humanismus, der den anderen als mir gleich erkennt.

Das ewige Trauma Missachtung von Menschen, im Exzess der Sklaverei

Er lässt eine große Schar von Kolonialismuskritikern zu Worte kommen und rekurriert vor allem auf Frantz Fanon, („in dessen Schatten dieser Essay geschrieben worden ist“. S 12) den Klassiker unter den Kritikern von Kolonialismus und dem damit eng verwobenen Rassismus. Ihn lässt er von all den Gräueln und der entmenschlichenden Erniedrigungen berichten, die die Franzosen in Algerien angerichtet hatten. Entmenschlichung, die beide trifft, den Quäler und den Gequälten. (Ich erinnere mich selbst noch an die täglichen Radiomeldungen von „neuen Zwischenfällen in Algerien“ und wie schnell die Besatzungsmacht Frankreich, die Schäden wieder behoben hatten). Von Seiten der Aufständischen war es übrigens weitgehend Gewalt nur gegen Sachen. Und er sieht diesen Rassismus auch heute noch z.B. als Reaktion auf die Flüchtlingsströme – „Lager“.

Düstere Befunde – Fetisch Feind?

„Der nicht zu unterdrückende Wunsch nach Feinden, der Wunsch nach Apartheid und die Ausrottungsphantasie bilden die … entscheidende Probe (Begriff? JR) zu Beginn des Jahrhunderts“. Weiter: „ In dieser depressiven Phase des psychischen Lebens der Nationen .. ist das Bedürfnis nach Feinden, nicht mehr bloß ein soziales Bedürfnis. (S92). Keinen Feind zu haben .. also jene, die unsere (wer ist uns?) Lebensweise hassen, heißt jener Hassbeziehung beraubt zu sein, die dazu berechtigt … allen verbotenen Wünschen freien Lauf zu lassen“. (S 93) Der Westen, der sich mannigfachen Feinden gegenübersieht und diese Feinde braucht, ein Dämon der alles erlaubt. Ohne ihn wäre man der Möglichkeit beraubt, andere zu verteufeln, ohne ihn keine Lust, die man empfindet, wenn der angebliche Feind von Spezialkräften abgeschlachtet wird …“ (S 93). „Wenn wir (wer ist wir? JR) nicht den Tod von allem fordern, was nicht bedingungslos für uns ist, reproduzieren wir dann nicht die ganze Tragödie des Menschen der im Hass gefangen ist und sich nicht davon zu befreien vermag.“ (S101).

„Kolonialismus, Faschismus und Nationalsozialismus haben eine gemeinsame Basis „… nämlich den der absoluten Überlegenheit der sogenannten westlichen Kultur, die ihrerseits als Kultur einer Rasse, der weißen Rasse verstanden wurde.“ (S 129).

Nanorassismus, „..Auf dieser öden Eisscholle (S 108), die Europa zu werden droht … wird man sich in Zukunft mit den Mitteln des Nanorassismus zerstreuen … . Der Nanorassismus ist letztlich nichts anderes, als dieses narkotische Vorurteil, das sich an die Hautfarbe knüpft und seinen Ausdruck in harmlosen alltäglichen Gesten findet". "Im Zeitalter des schamlosen Rassismus (S 109), in dem nur noch von den „Unsrigen“ die Rede ist, will niemand mehr von den Andren hören. Sollen sie doch zuhause bleiben, heißt es.“(S 109) „Heute zeigen sich andere Formen von Rassismus, die es nicht mehr nötig haben auf die Biologie zurückzugreifen. Es genügt z.B. zur Jagd auf Ausländer aufzurufen; die Unvereinbarkeit der Zivilisationen zu behaupten … dass die Kulturen nicht miteinander verträglich seinen … „. „… dieser Rassismus stellt eine Ergänzung zum Nationalsozialismus dar – in einer Zeit, da die neoliberale Globalisierung den Nationalismus und auch die Demokratie jeden wirklichen Inhalts beraubt und die wahren Entscheidungszenten in die Ferne verlegt.“ (S 222).

Kritik der Demokraten und der Demokratie

„Da die eigentlich erforderliche Spaltung der Gesellschaft in Herren und Sklaven sich aufgelöst hat, sind die liberalen Demokratien unserer Zeit für ihr Überleben angewiesen auf die Spaltung in gleiche und Nichtgleiche oder auch in Freunde .. und Feinde der Zivilisation. Ohne Feinde haben sie Schwierigkeiten sich alleine aufrecht zu halten“. (S 100). „Unter dem Einfluss der vom Hass aufgepeitschten Phantasien entwickeln die liberalen Demokratien alle erdenklichen Wahnvorstellungen über die wahre Identität des Feindes“ (S101). Er beschreibt die zwei Seiten der Demokratie, die Tagseite, Kolonialreich und Sklaverei, Plantage und Bagno (wo Sklaven gefesselt die Nacht verbrachten JR).

Im Heute charakterisiert er: (S227) die Demokratien werden immer schwächer bis hin zum Systemwechsel. Da sie nur noch Wahnvorstellungen und Zufälle zum Gegenstand haben, werden sie unvorhersehbar und paranoid, anarchische Mächte ohne Symbole, ohne Bedeutung und ohne Ziel. Ihrer Rechtfertigung beraubt, bleibt ihnen nur noch Zierrat“.(S 228).

Traum

„Ist eine andere Weltpolitik möglich, die nicht notwendig auf Unterschied oder Andersheit basiert, sondern auf einer sicheren Idee des Mitmenschlichen und Gemeinsamen?“ (S 77).

Ein persönliches Fazit

Das kollektive Gedächtnis Afrikas ist präsenter als wir das gerne hören wollen. Kolonialismus mit allen Kollateralschäden, sei präsent, auch heute in anderer Gestalt. Ein Blickwinkel, der auch mal einzunehmen ist. Und Fragen, auf die Antworten gegeben werden sollten. Seine Befunde, als linker Intellektueller, finde ich ziemlich eigenwillig und würden wohl einer Prüfung im Sinne Karl Poppers wenig standhalten. Aber blicken wir auf die positive Seite, die Denkanstöße, es ist wahr, dass die Welt sich immer weniger voneinander separieren kann. Corona und Klima sind die ersten ganz manifesten Beispiele. Unsere Optionen heißen also: Problemlösung in Kooperation oder das „Recht des -militärisch - Stärkeren“ ausspielen? Das ist doch wirklich keine Option...

Vergessene Eigenverantwortung.Was mir sehr missfällt, es wird über Europa und die Demokratie geschimpft. Trotzdem wird ein quasi Recht postuliert, nach Europa auswandern zu dürfen. Ist das Intellektualität? Kein Wort, dass nach 60 Jahren in kaum einem afrikansichen Land, geordnete Verhältnisse herrschen sondern Oligarchen. Wo bleibt die Eigenverantwortung der Schwarzen? Kein Wort dazu in diesem Buch. Was hält man von einem 60 Jähringen, der immer noch seine Eltern für seine schwierige Lebenssituation verantworltich macht? Ja, Europa hat zweifelsohne auch eine Verantwortung, aber die allererste trägt inzwischen der Patient selbst.

Klarheit und Stringenz ist ihm, einem der „wichtigsten afrikanischen Denker“ für mich in diesem Buch, "Politik der Feindschaft" nicht gelungen: bis zur Unlesbarkeit verschränkte Sätze, erratische Begriffsbildung, keine klare Argumentationskette fürwahr eine Qual es zu lesen. Außerdem stelle ich fest, nichts Neues unter der Sonne, die Bergpredig deckt das alles bestens ab und hilft in der Praxis so wenig wie es Mbembes Aufschrei tun wird. Aber es braucht den Polarstern, auch wenn man ihn nie zu fassen kriegt.

Anhang

Mbembe der Antisemit?

„Der Wunsch nach einem Feind, der Wunsch nach Apartheit (Trennung und Einschließung) und Ausrottungsphantasien sind an die Stelle dieses Zauberkreises (unerklärter Begriff) getreten.“ (S 83). „Demarkationslinien aller Art, die oft nur die Funktion haben, die Einschließung zu intensivieren, da man die Menschen, die man für eine Bedrohung hält, nicht ein für alle Mal fernhalten kann. Ein Beispiel dafür ist die palästinensischen Wohngebiete, die buchstäblich eingekreist sind von israelisch kontrollierten Zonen“. „Im Übrigen dient die israelische Besetzung der palästinensischen Gebiete als Versuchslabor für eine Reihe von Techniken der Kontrolle, Überwachung und Trennung, die inzwischen weltweite Verbreitung finden“. (S84). Dazu gehören Maßnahmen wie die regelmäßige Abriegelung oder Begrenzung der Zahl der Grenzübertritte von Palästinensern nach Israel und in der Siedlung, die regelmäßige Verhängung von Ausgangssperren in den palästinensischen Enklaven, die Überwachung der Bewegung oder die vollständige Abschließung ganzer Städte.“ Hier zitiert er eine Publikation von Amira Hass erschienen im „Journal of Palestinian Studies“, Jahrgang 31, aus dem Jahr 2002. (Amira Hass ist die einzige israelische Journalistin, die unter Palästinensern im besetzten Gebiet lebt. "Ich schreibe nicht für die Palästinenser, sondern gegen die Besatzung"). Er kommt dann zu einer weiteren Aufzählung von 16 Schikanen von provisorischen Checkpoints mit Betonklötzen … gezielte Morde … generalisierte Lagerhaft … um ein Regime der Trennung aufzuzwingen, dessen funktionieren gerade von der Enge der Nachbarschaft abhängt“. (S 85). Dies zitiert er aus einer Publikation von Cedric Parizot, „Après le mur. Les réprésentations israelienne de la séparation avec les Palestiniens“. Culture et Conflits, Nr. 73, 2009. (Cédric Parizot ist Forscher im Bereich Anthropologie am Institut für Forschung und Studien der arabischen und muslimischen Welt (UMR7310, CNRS/Aix Marseille University).

„Solche Maßnahmen erinnern in mancherlei Hinsicht an das berüchtigte Modell der Apartheid mit ihren Bantustans genannten riesigen Reservoiren billiger Arbeitskräfte, mit ihren den Weißen vorbehaltenen Gebieten, ihren verschiedenartigen Gerichtsbarkeiten und ihrer ständig rohen Gewalt. Doch die Metapher der ‚Apartheit reicht nicht aus, um das israelische Trennungsobjekt zu erfassen“. (S 85). „Sodann sind die Auswirkungen des israelischen Projekts auf die Palästinenser auf Grund ihres high tech – Charakters weit schlimmer als die vergleichsweisen primitiven Maßnahmen, die das südafrikanische Apartheitsregime von 1948 – Anfang 1980 ergriff. Das gilt auch … für die Techniken zugleich materieller und symbolischer Auslöschung.“ (S 86). Das zitiert er aus Saree Makdisi, „The architecture of erasure”, Critical inquiry, Jg. 36, 2010. Saree Makdisi, Professor für englische Literatur und vergleichende Literaturwissenschaft an der UCLA in Los Angeles.

Dr. Johannes Rauter 10.05.2020