Der neue Finanzrahmen der EU 2021-2027, es wird heftig gestritten. Meine Frage, hilft mehr Geld wirklich?


Die EU ist Regelmacht für supranationale Anliegen. Geldmacht ist sie nicht. Wozu also der Streit um Zehntel-Prozent?

Es war immer schon Konsens, dass der Finanzrahmen der EU, als "vierte Gebietskörperschaft" von der finanziellen Ausstattung anders zu sehen ist als ein Nationalstaat mit tausenden von Aufgaben. Daher wäre der Streit darüber, wo das relativ wenige Geld die höchste Hebelwirkung hat, viel interessanter. Warum wird praktisch nichts dort eingesetzt, nach meiner Wahrnehmung, woran allzuviele EU Staaten besondes leiden: an einem Mangel an good governance. Und warum müssen viel zu viele Aufgaben von den Generaldirektionen der EU-Kommission ersonnen werden, für die die beschränkten Mittel doch gar nicht reichen!

Z.B. Warum gewinnt Griechenland kaum Strom aus Sonnenenergie? Ein Rätsel.

Die Ausgangslage

Nota bene: Die meisten Herausforderungen, 98%, müssen ohnehin in den Nationalstaaten gelöst werden. Die EU hat vor allem regelnde und koordinierende Funktion, wo es überregionaler Regeln bedarf. Das wird leicht vergessen. Digitalisierung, was will die EU den tun als Regeln und Standards festzulegen und eine Hand voll Start-ups mit Risikokapital zu versorgen. Die Hauptaufgabe liegt bei den Unternehmen.

Ist das der Stand der Diskussion?

Die Gesamtsumme des Finanzrahmens von 1 279 Milliarden, erste Variante, ist eine Summierung der potentiellen Haushalte der EU über sieben Jahre. Details, unklar. Also geht es um die Frage, 1. Der wahrscheinlichen Prämissen; 2. Wie kommt diese Zahl zustande, welche Optionen gibt es? Und um wieviel mehr wird es für Deutschland werden, gemessen an dem, was Deutschland 2018 zu berappen hatte, nach dem Ausscheiden der Briten. Und bitte nachdenken, bringt mehr Geld wirklich mehr?

Man weiß, soll der Budgetlevel gleich bleiben, dass künftig, nach Brexit, z.B. 1,18 % vom BIP der EU zugeführt werden müssen. Was ja nur echte 0,88 Prozent sind betrachtet man ehrlicher Weise nur die „National Contributions“ zur EU, s.u..!

Stufen des Budgets
Quellen des Budgets

Also ist es nicht korrekt, dass Deutschland 1% vom BIP an die EU abzuliefern hätte, es waren 0,72%: Die „Total national contributions“ von Deutschland 2018: 25 267 Mrd. €. Erst wenn man die Deutschland zuzurechnende EU Eigeneinnahmen dazu nimmt (+Zölle, Abgaben, Strafeinnahmen), sind das: 32 691 Mrd. € oder 1%.

Trotzdem erweist sich auch das eher geringe Budget der EU mit den rund 160 Milliarden p.a. zu verteilende Gelder, als ein Kitt, den gar keiner missen möchte und ganz bestimmt nicht jene 83% Kleinstaaten, aus denen die EU samt Westbalkan bald bestehen wird. Das und der ungehinderte Martkzugang für alle, ein wesentlicher Wohlstandshebel, das sind die beiden Pfeiler des Zusammenhalts dieser Nationengemeinschaft, genannt EU.

Der neue Finanzrahmen der EU

Prämissen:

  1. Wirtschaftswachstum 2014 – 2018 im Mittel: 3,1 % für die EU als Ganzes, die künftigen Jahre werden ein geringeres Wachstum ausweisen.
  2. Künftig entfällt UK und die Neuen Beitrittskandidaten sind Netto-Empfänger.
  3. Neue Themen, neue Mittel: Das Klima, die Fragen der erneurbaren Energien, ressourcensparende Technologien, die Integration von Migranten und die Finanzierung von Mehrwertprojekten in armen EU Ländern mit Potential.
  4. Die Dotierung des ESM ist noch lange nicht erledigt. Also ein Polster für Schutzmaßnahmen bei drohenden Staatscrashs. Einzahlungsquote bisher bei ca. 10% des Haftungsrahmens!
  5. Vorintegrationshilfen für den Westbalkan werden fällig.
  6. Im Dunkeln bleiben: Arbeitslosenrückversicherung, die Einlagensicherung. Das Eurozonenbudget von 17 Milliarden sei in den 1 279 Milliarden enthalten.
Ganz neue Themen stehen also an. Die bisherigen Budgets, sind dominiert vom dramatischen Übergewicht „Landwirtschaft“, samt der Kollateralschäden durch Gülle, Massentierhaltung, Glyphosat u.a.. Man sage uns jetzt, welche "alten" Themen müssen weichen? Welche sind denn wirklich erledigt? Gewaltige Umschichtungen sind unvermeidlich, der Kuchen selbst, das EU-Budget, wird praktisch nicht größer. Was hat der Ministerrat dabei zu sagen und was das Parlament? Dazu bis heute kein Wort zum Bürger.

Wie kommt man zu Budgetzahlen: Nur durch den good will der Mitgliedstaaten

Folgende Vorschläge werden zur Zeit diskutiert

  1. Wie gehabt, man hält sich an die Vergangenheit und schreibt die fort. Da UK ausscheidet, steigt die Last pro Staat. Da das BIP (Bruttoinlandsprodukt) weiter steigen wird, erhöht sich auch das EU Budget.
  2. Die aktuelle Variante 1,1 279 Milliarden Euro in sieben Jahren, das bedeutete 1,11% vom EU BIP ohne UK. In diesem Falle müsste Deutschland, ohne UK, bezogen auf das Jahr 2018 knapp 6 Milliarden € mehr beisteuern. Genau genommen peanuts.
  3. Der nächste Vorschlag, die Forderung Deutschlands und Finnlands, man solle es bei 1% belassen bzw. 1,03 % , bedeutete für das Sieben-Jahresziel ein Minus von 170 Milliarden bezogen auf Variante 1. Und nicht nur 85 Milliarden wie die Presse verlautbarte.
  4. Die ganz Schneidigen – das Parlament und sicher auch gerne die Kommission- liebäugelten mit 1,3 % vom BIP (ohne UK?) das wären dann über 7 Jahre 162 Milliarden mehr als die Marke von 1 279. Klar, ist ja auch mehr Gestaltungsmasse. Z.B. für den ESM! Erfolgsaussichten mehr als ungewiß.

Wer bestimmt was wichtig ist?

Leider wird uns EU Bürgern nicht erklärt, wie welche Themen in die die "Top Ten" gelangt sind, wieviel man wo investieren will und den Mehrwert den man sich davon erhofft. Nur eines ist gewiß: auf fast alle Themen die wichtig sind, kann man - mangels Voraussicht bisher - nurmehr reagieren. Überbevölkerung in kritischen Regionen, die Wanderungen auslöst, und die die Klimakrise durch den vermehrten Ressourcenverbrauch ganz erheblich mitverursacht, wie ich das sehe. Aber auch sich der neuen Weltmacht China als Partner auf Augenhöhe zu stellen. Dem autonomen Gestalten auf EU Ebene bleiben nur noch kleine Reservate.

Zuerst die Staatsmoral und dann das Geld ...

Es bleibt die interessante Frage, ob die EU mit mehr Geld mehr erreichen könnte. Das Geeiere um die Zehntel Prozent ähnelt sehr dem berühmten 0,7% - vom-BIP- Ziel, das die Industrieländer seit den 1960 iger (!) Jahren heilig versprachen, an Entwicklungshilfe zu leisten. Ziel immer noch nicht erreicht. In diesem Zusammenhang dämmerte wohl auch die Erkenntnis, dass zuerst Fortschritte in good governance gemacht werden müssen bevor Geld hilft. Beherzige man das auch für die EU. Bankenaufsicht und den ESM nehme ich hier ausdrücklich aus. In einem Verein wie der EU sind knappe Mittel sicher das beste und heilsamste Disziplinierungselement. Dies alles schreibt jemand, der zutiefst vom Nutzen der EU überzeugt ist, ich schwörs.

Im Anhang etwas Dokumentation zu der Quellenaufbereitung.
Dotierungsoptionen EU Budget
Dotierungsoptionen EU Budget

Dr. Johannes Rauter 20.10.2019