Ist Deutschland wirklich der Elefant im Porzellanladen EU?


Das wird schnell gemeint. Es fehlt der Menschheit grundsätzlich an Empathie, auch manchmal Deutschland. Urteile man jedoch differenziert.

Deutschlands Wirtschaftsmacht in der EU ist Anker derselben und auch Misstrauensspender. Aber nur mit der ehrlichen Sicht auf die Fakten und auf das langfristige Wohlergehen der EU kann man allen und damit auch Deutschland und Deutschland anderen, gerecht werden. Eine essayistische, aber nach bestem Wissen faktenbasierte Darlegung. Meine Sicht entspringt keinem deutschen Pass.

Deutschland der EU Dominator?

Von manchen Berufseuropäern, Schriftstellern sogar Philosophen wird Deutschland an den Pranger gestellt: Wir wollten doch mal ein EUropäisches Deutschland und keine Deutsche EU.

Die Hauptvorwürfe an Deutschland, „man" meint:

  1. Es exportiere zu viel und schaffe damit makroökonomische Ungleichgewichte;
  2. Es betreibe Lohndumping und schade speziell Frankreich damit;
  3. Es sei geizig, lehnt Einlagensicherung, Arbeitslosen(rück?) versicherung ab, es will auch nach Brexit das EU Budget bei 1% vom BIP deckeln;
  4. Es konsumiere und investiere zu wenig;spare zu viel;
  5. Treibe eine Politik, die letztlich nur Erfüllungshilfe für die deutsche Autoindustrie sei;
  6. Es verlange eine unsinnige Austeritätspolitik, es verhindere, dass schwache Länder mehr Geld ausgeben können.
  7. Fände keinen Weg, mit Macron ("der große Ideengeber?") wirkungsvoll zu kooperieren.

Zunächst ein paar Fakten:

Die EU mit einem eigenen Budget von 1% des BIP ist heute eher eine internationale Organisation denn ein Bundesstaat (Aymo Brunetti). Der ja so auch so nicht gewollt war und es de facto bis heute noch nicht ist. In Zukunft mag sich ein Konsens zu einem „Mehr EU“ herausbilden. Aber die EU ist auch schon heute eine erhebliche Regelmacht.

In drei bis fünf Jahren wird die EU 30 Mitglieder haben. Heute, mit „Noch-Mitglied“ UK, sieht es so aus: Vier große Staaten, drei mittlere (Spanien, Polen, Rumänien) und 22 Kleinstaaten. In sechs Jahren werden es: drei Großstaaten, drei mittlere und 24 Kleinstaaten sein, dann wird die EU zu 83 % aus Kleinstaaten (=< Bayern) bestehen! Was Wunder, wenn Deutschland da heraussticht.

Geteilt nach „arm“ = <25 000 € BIP pro Kopf und „reich“ = > 25 000 BIP pro Kopf dann zeigt sich, es gibt 14 eher reicheren bis wirklich reiche (ca. 66% der EU-Bevölkerung) und 14 ärmere Ländern (ca. 34% der EU Bevölkerung) . Und da alle Staaten – und das ist eine große Errungenschaft - im Rahmen der EU die gleichen Rechte haben, die kleinen sogar nach der Bevölkerung überrepräsentiert sind verdienen sie Aufmerksamkeit.

Schlüsselfaktor Produktivität

Deutschland: Produktivität. Es ist nicht so, dass gemessen am Sozialprodukt pro geleisteter Arbeitsstunde (= Produktivität, OECD Daten), Deutschland Spitzenreiter sei. Nein, unter den ausgesprochen etablierten Industrieländern, die Mitglieder der OECD sind, liegt Deutschland auf Platz neun, aber nur wenig vor Frankreich (!), UK und Italien. Aber eben hinter seinen Hauptwettbewerbern.

Produktivität
Vergleiche

Und trotzdem spielt Deutschland in dieser Liga überaus erfolgreich, also können die Exportüberschüsse nicht alleine an der hohen Produktivität – wie geklagt wird - liegen.

Deutschland ist wirtschaftlich der Stärkste (Hegemon!) aber auch, und das wird geflissentlich vergessen, der Hauptanker der EU.

EU = Deutschland + Frankreich?

Allerdings besonders wirksam nur im Konsens mit Frankreich. Aber es fehlen die wirklichen Diskussionen, Macrons Sorbonne-Rede, die meiner Kenntnis nach wahrlich auf ganz dünnen Beinchen steht, ist nicht mit Schweigen zu beantworten sondern mit den besseren Vorschlägen. Wir warten heute noch darauf. Aber die Nutznießer des Status quo bzw. die Angst vor der Schmach, "überstimmt" zu werden, sind der Hemmschuh. Wo bleiben die Ideen der "Kleinen", werden sie gehört?

Was muss die EU anstreben, um zu bestehen?

Da die EU, anders als in ihren Gründungsjahren heute in einem globalen Wettbewerb steht, sowohl was die Lieferketten als auch die Reichweiten wesentlichen Innovationen angeht, ist nicht mehr das behagliche EU-ropäische Haus die Vision, sondern eine widerstandsfähige, wirtschaftliche, politische und als Block, bei Überlebensfragen, handlungsfähige Union. Nur diese Union kann uns schützen. Politisch heißt auch, geeint in Werten.

Die Hauptvorwürfe, was kann man dazu sagen, meine Thesen

  1. Ungleichgewichte durch Exportstärke

  2. Ja, Deutschland hat einen nennenswerten Warenhandelsüberschuss gegenüber seinen EU Partnern. ca. 56 Milliarden € (die VRCh, 200 Milliarden, sei erinnert) jeweils 2018.Löhne erhöhen! So heißt die Forderung. Richtig ist, dass die Löhne in Deutschland zur Produktivitätsentwicklung aufgeschlossen haben. Also ein unausgeschöpfter Spielraum ist 2018 nicht zu sehen. Allerdings hat der €-Kurs den exportstarken EU-Ländern im Weltmarkt geholfen.

  3. Es betreibe Lohndumping und schade speziell Frankreich damit;

  4. Richtig ist zudem, dass Deutschland kein low tech Land ist, in dem für die Wettbewerbsfähigkeit Lohnkosten ganz entscheidend sind. Nein, Qualität, Innovatives und Produktmerkmale spielen wohl eine größere Rolle als die Löhne. Wie ist es sonst zu erklären, dass Deutschland lt. IG Meall mit Arbeitskosten pro Stunde 2017 von 43,42 € gegenüber Japan, 28,81 €, + 50%(!), überhaupt noch im Kfz-Markt bestehen kann. In diesen Arbeitskosten stecken natürlich die Abschreibungen/Kosten für das mechanische und digitale Umfeld mit drin. Und das schein in Deutschland überaus effektiv zu sein.

    Die entsprechende Statistiken von eurostat stellen fest, dass die Arbeitskosten pro Stunde in der gesamten Wirtschaft (ohne Landwirtschaft) von 2004 auf 2018 in Deutschland um 36%, in Frankreich um 27% gestiegen sind. Die genannte IG Metallstudie zeigt für Deutschland Arbeitskosten/h von 43,42€ für Frankreich 38,77 € in 2017.

    Woher also kommen solche Behauptungen? Richtig ist, das diese Kosten in Frankreich 2004 etwas höher lagen als in Deutschland, umgekehrt verhielt es sich dann 2018.

    Ausweg Lohnsteigerungen in Deutschland?

    Stiegen die deutschen Löhne etwas stärker , hülfe das dem Hauptbedrängten Frankreich wirklich? Viel eher würde helfen, investierte Deutschland mehr in den (ärmeren) EU Staaten.

    Deutschland muss sich mit den USA, China, Japan oder Korea messen, die hier besser sind. Das generiert natürlich eine starke Überlegenheit gegenüber jenen, die nicht in der 1. Liga spielen. Jenen gegenüber ist eine neue Solidarität zu erdenken, Geld alleine hilft aber nicht.

  5. Der Geiz, Beispiel EU-Arbeitslosenrückversicherung, EU-Einlagensicherung; es will auch nach Brexit das EU Budget bei 1% deckeln;

  6. Rechenbeispiel: die EU hat nach ehrlicher (deutscher Methode) sicher 25 Millionen Arbeitslose. Seien die Kosten je Arbeitslosen im EU Schnitt etwa 50% von dem, was in Deutschland heute bezahlt wird, so beliefen sich die gesamten Kosten auf ca. (25 000 000 mal 10 000 € p.a =) 250 Milliarden € p.a.. Der EU- Haushalt beläuft sich 2018 auf ca. 155 Milliarden €. Richtete man einen Fonds von 10% dieser Summe ein, als eine Art Not-Solidarbeitrag "Arbeitslosenhilfe", von 25 Milliarden ein, von denen Deutschland 25% beisteuerte, wären das 6,3 Milliarden. Das sehe ich als zumutbar.

    Bei einer Sparer-Einlagensicherung, nehmen wir an, jeder der 270 Millionen Erwerbstätigen in der EU habe im Schnitt 10 000 € auf dem Konto, sprechen wir von der 10-fachen Größenordnung. Kein Wunder, dass man da vorsichtig ist. Abgesehen davon, dass der geschaffene ESM ja dazu dient, dass es erst gar nicht so weit kommen darf. Und auch dieses Solidaritäts-Instrument muss ja (noch) kräftig dotiert werden. Das EU Budget auch nach Brexit auf 1% zu deckeln hielte ich für ein fatales Signal. Wieviel EU man will spiegelt sich vor allem in der Höhe des EU-Budgets. Zur Zeit will man das EU Budget von heute ca.1% vom BIP aud 1,11% steigern.

  7. Zuwenig Konsum und Investition? Zuviel gespart?

  8. Eines gleich vorweg: Spitzenwerte bei Konsum und Bruttoinvestitionen findet man nur in der Schweiz. Deutschland immerhin kann immer mit den zweitbesten Werten aufwarten, deutlich vor Frankreich.

    Direktinvestitionen, FDI: Reife Volkswirtschaften investieren weit mehr im Ausland, als das Ausland in ihnen. (Quelle: Weltbank). Klar, man sucht die Wachstumspotentiale. Daher kommen daher keine Impulse für die "alten" EU Länder. Bei sich entwickelnden Volkswirtschaften ist das umgekehrt. Aber diese Investitionen sind viel zu gering, für die ärmeren EU-Länder.

    Mögliche Spielräume

    Allein beim Sparen liegt Deutschland mit ca. 8 000 € pro Erwerbstätigen höher als Frankreich, ca. 6000 €. Würde Deutschland seine Sparrate (% vom verfügbaren Einkommen) von 13,5 % auf 12% senken, dann bedeutete dies einen zusätzlichen Konsumschub von 45 Milliarden €, wobei für Frankreich gemäß aktuellem Importanteil von 6,2% (der Deutschen Importe) nur ca., 2,8 Milliarden Zusatzgeschäft zu erwarten wären. Aber wer sollte das verordnen (wollen)? Also auch keine Option für die EU Partner.

    Beim öffentlichen Haushalt darf man schon daran erinnern, dass wir uns in einer Null-Zins-Phase befinden. Man erinnere, kurz vor der Einführung des € , 1999, also als man die 60% Verschuldungsgrenze festlegte, musste eine 10-jährige Bundesanleihe noch mit 5,17 % verzinst werden. Deutschland liegt heute bei 60%. Ich sehe da heute Spielraum etwas mehr in die Verschuldung zu gehen.

  9. Deutsche Politik zu sehr von der Autoindustrie bestimmt.

  10. Das kann man schwer in Abrede stellen, betrachtet man so manche Entscheidung der Bundesregierung. Kommt dazu, dass die Strafen für unredliches Verhalten - in die Entwicklung gesteckt, - einen Innovationssprung bedeutet hätten. Man könnte formulieren, dass die Politik die Bequemlichkeit der Autoindustrie gestützt hat.Verständlich aber überhaupt nicht nachhaltig. Die Anteilseigner der Autofirmen sollten überlegen, ob so etwas in ihrem wohlverstandenem, nachhaltigen (Gewinn-) Interesse ist. Aber: Wenn wir uns selbst keinen Veränderungsprozessen aussetzen wollen, wird uns der chinesische Wettbewerb morgen ohnehin dazu zwingen und dann ist schon viel Terrain verloren.

  11. Unsinnige Austeritätspolitik?

  12. Mehr Geld hat aus gemachter Erfahrung, auch großen Schaden angerichtet. Siehe die Probleme in die Portugal, Griechenland, Spanien und Irland hineingeraten sind, als das Geld über Nacht durch die €-Einführung billig wurde. Geld alleine hilft nicht, wenn die Staaten keine good governance können oder wollen. Außerdem wird geflissentlich vergessen, dass ja Herr Draghi mächtig viel Geld in den Markt gegeben hat. Das mag das lebhaftere Wachstum der letzen fünf Jahre mit beflügelt haben. Allein es fehlen die Projekte. Die EU ist zu einfallslos einerseits, andererseits soll nicht eine neue Finanzkrise generiert werden, durch miserable Projekte die direkt zu faulen Krediten führen, ein EUropäischer Teufelskreis.

    Aber warum nicht anregen, dass die reicheren und gut geführten Mittel- und Nordeuropäer im Umlauf sich immer eines ärmeren Landes annehmen sollten und dort – wie in Deutschlands Osten – Leuchtturmprojekt generieren, die gerade der begabten Jugend dort wieder Hoffnung geben.

    Fazit:

    Mehr selektive Großzügigkeit, sach- und nicht ideologische Diskussion mit Frankeich, gilt für beide und mehr Dialog mit kleineren EU-Ländern. Transferien die reicheren Länder good governance, die beste Gabe, noch vor Geld. Man muss es aber auch empfangen wollen. Über allem gilt: "It's nice to be important, but it is more important to be nice".

    Nur wenige Vorwürfe lassen sich durch Fakten erhärten. Man kann Deutschland kein Innovationsverbot auferlegen. Die EU Länder müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit deutlich steigern. Deutschland sieht zu Recht bei Banken und Politik schwacher Länder das Problem des "Moral Hazard". Das ist der Umstand, dass Verantwortliche Risiken eingehen ohne für deren Kosten einstehen zu müssen.

    Vorbilder sind Deutschland, die Schweiz aber auch die Staaten im Osten, die jedenfalls nach eurostat – Daten ein starkes Wachstum hingelegt haben und die Staatsverschuldung – im Gegensatz zu den €-Ländern, - deutlich im Griff haben.

    Schreibweise: EUropäisch. Das ist ungewohnt aber richtig. Dauernd wird von „europäisch“ geredet, obwohl man weis, dass Russland als Mitglied des Europarates, oder Norwegen und die Schweiz eben auch „Europa“ sind.

    Quellen:

    Sparen -

    https://www.insee.fr/fr/statistiques/4131421?sommaire=4131436 destatis Fachserie 18 1.2 2. Quartal 2019

    Produktivität (auch per geleisteter Stunde)-

    https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.MKTP.CD?end=2018&start=2006 https://data.oecd.org/lprdty/gdp-per-hour-worked.htm

    Foreign direct Investment (FDI) , inflows und outflows -

    https://unctad.org › docs › WIR2018 › WIR18_tab01

    Bevölkerungsdaten, BIP, Erwerbspersonen, Selbständige, Außenhandel -

    die gängigen eurostat Statistiken

    Arbeitskosten(entwicklung)

    Pressemitteilung 62/2019–11.April2019 http://wko.at/statistik/eu/europa-arbeitskosten.pdf https://www.gesamtmetall.de/sites/default/files/downloads/me_wettbewerber_20190304.pdf

    Waren-Handelsdaten

    eurostat - comext Datenbank

    Dr. Johannes Rauter 21.10.2019