EU Krisen: Moscovicis jüngste Rezepte

Nicht die Wahrheit kann ich bieten, aber auf Aspekte hinweisen, die von der öffentlichen Bühne nach meinem Eindruck weg gedrängt werden, die zur Zeit kaum ansprechbar sind.

Es heißt die EU sei in einer großen Krise. Nun, Europa das ist schon immer eine Krisengeschichte gewesen und die absolute Ausnahme waren friedliche Entwicklungszeiten. Nun da das Friedensversprechen - für Zentraleuropa eingelöst - als emotional strahlender Wert im Becken der Erinnerung abgeklungen ist, obwohl Friede natürlich das höchst Gut ist, -aber wer schätzt schon die Atemluft die uns immer umgibt, - so drängt sich jetzt das Wohlstandsversprechen der EU Politiker stärker denn je ins Bewusstsein. Nur: diese Aufgabe scheint unlösbarer als Frieden zu halten, na ja, einen Bauklotzturm umzuwerfen ist leichter als ihn aufzubauen, dass wissen schon die kleinen Kinder...

Moscovici wiederholt das EU Mantra in einem Interview der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 02.10.2015:

"Die Menschen sind nur zu überzeugen, wenn wir zusammen  die ökonomischen Herausforderungen meistern also Jobs und Wachstum schaffen“. Und wie? „Wir insistieren auf Strukturreformen und fördern Investitionen ..damit die Regierungen Spielraum haben zu investieren …“ Die Regierungen samt EU Kommission als Garanten für ein Investitionsklima? Dazu hätten sie mindestens 25 Jahre Zeit gehabt. Und was geschah? Wo ist die Wirtschaftsdynamik?
In derselben Ausgabe der SZ liest man: "... jetzt drängen Amerikas IT Konzerne mit High Tech-mobilen auf den Auto-Weltmarkt". Und auf der nächsten Seite geht es um computer-gestütztes individuelles Lernen: „Erste Erfolge aus den USA ..“ Das nenne ich Dynamik. Warum entsteht Google in den USA? Das sollten sich die Moscovicis Europas mal fragen. Die Analyse würde alle Schwächen Europas sofort transparent machen. Man will es offenbar gar nicht wissen.

Ach so, wir wollen ja ein soziales Europa, ein dynamisches, das wäre doch zu herausfordern? Sieht man sich die Ideen der "sozialen" EU28 genauer an, kommen immer Dauertansfers zum Vorschein. Das ist keine solide Basis und politisch auch nicht durchhaltbar.

Armes Europa, das glaubt mit Beamtendenke Wachstumsdynamik und Innovation erzeugen zu können.

Etwas Realität

Traurige Fakten: Hätte die EU28 dieselbe Arbeitslosenrate wie die USA, nämlich 5,3% statt 11,2%  *) der Erwerbspersonen, dann hätten 11 Millionen Menschen mehr Arbeit in der EU . Hätte die EU28 dieselbe Erwerbstätigenquote wie die USA, nämlich 73% anstelle von  65% (!) der   15 – 64 Jährigen der Bevölkerung, so wären 26 Millionen mehr in der Arbeitswelt. Mit entsprechend mehr Wirtschaftsleistung für die EU. Der Dynamische generiert Arbeit. Und wer bringt die Dynamik hervor in den USA? Obama? Sicher nicht, aber ihn freut es mächtig.

Nicht Beamte dynamisieren die Wirtschaft Europas, nur Risikokapital mit Renditeaussicht wirkt dies Wunder auf so verschiedne Länder. Egal ob man das gut findet, es ist einfach so. Denn bedenke man mit Blick gerade auf die Erwerbsquote der USA: Was ist sozialer, unser System das schon lange auf Pump lebt mit sozialen Netzen - in wenigen Staaten - oder eine hohe Erwerbstätigenquote. Das gilt es zu diskutieren. Und man denke daran, welches Modell ist wirklich nachhaltiger? Ich bin sehr für soziale Netze, wenn sie die eigene Wirtschaft leisten kann.

Ist der Kapitalismus alternativlos für Fortschritt und Wirtschaftsdynamik? Churchill sagte mit Blick auf die Demokratie, das sei die allerschlechteste Regierungsform, er kenne nur keine bessere. Das könnte man vom Kapitalismus füglich auch behaupten. Und um einen alten Finanzwissenschaftler abzuwandeln, zu hoffen dass der Kapitalismus auf die maximal erreichbare Rendite verzichtet, ist etwa genau so realistisch wie zu glauben, ein Hund würde sich einen Vorrat an Würsten zulegen und den in kleinen Portionen verspeisen. Die Sklaverei war ab 1820 verpönt, langsam wurde sie in im industrialisierten Norden zurückgedrängt und entstand dann in den Textilfabriken Bangladeschs oder in den Arbeiterwohnheimen von Shenzen wieder.

Ich bin nicht für einen grenzenlosen Kapitalismus, ich bin für einen kanalisierten, nur dazu benötigen wir einen weltweiten Konsens, zumindest einen Konsens innerhalb der G 20.

Es gibt ihn, den menschlichen, den kulturellen Fortschritt, im Prinzip.

Von den endlichen Möglichkeiten ...

Allen Sozialisten und anderen Gutmenschen in der EU sei zugerufen, der Zusammenhang zwischen Leistungsfähigkeit und Wohlstand lässt sich nur ganz marginal aushebeln. Ihn auf Dauer mit Transfers überbrücken zu wollen, ist nicht möglich. Bei den Flüchtlingstrecks sieht man plötzlich die nur "endlichen" Möglichkeiten. Perspektivisch gesagt: Realität schlägt hoffentlich Willkommenskultur, die nur in gewissen Momenten m.E. auch ihre Berechtigung hat. Noch viel endlicher sind die Möglichkeiten für eine europäische Transferunion, liebe EU Politiker und EU Parlamentarier! Von einer gemeinsamen Außen- und Wehrpolitik, wie sie immerhin die Donaumonarchie hatte, gar nicht zu reden.

Junckers Ausspruch, manchmal muss man lügen, ist untertrieben...

Ich denke, die EU leidet an schönen aber naiven (Lissabon-)Zielen  wie: „ähnliche Lebensverhältnisse seien herzustellen“ oder eine nicht näher definierte „soziale“ EU sei gewünscht, also letztlich politisch nicht durchsetzbare (?) Dauertransfers.

Ich denke die Europapolitik der -berufenen - Akteure leidet unter Realitätsverleugnung: Gerade niedrig industrialisierte Länder stehen in einem besonders harten, unausweichlichen globalen Wettbewerb. Griechenlands  14,60 € für die Arbeitsstunde sind ein Paradebeispiel für solche Realitätsverweigerung. Auch die Realität, dass ein europäisches Entscheidungsmodell  eher dem des Heiligen Römischen Reich ähneln muss denn des der Schweiz oder der USA, will man hartnäckig nicht einsehen. Die 28 EU-Individuen lassen sich bei Kernthemen nicht außen-steuern, glauben wir's endlich. Erst Akzeptanz der Realitäten führte zu wirksamer Europapolitik. Nur das Anerkennen der Realität kann zu einer konsistenten Politik führen, nicht Wunschkonzerte, denke ich.

Mexiko - im Prinzip ein Vorbild für den südlichen Rand der EU

Mexiko hat in der NAFTA mit 6 € für die Arbeitsstunde, die US Wirtschaft über den Rio Grande gelockt und hat ein deutlich höheres Beschäftigungsniveau als die EU Südstaaten von Rumänien bis Portugal. Und hat offenbar ein fachliches Niveau durch die US Investitionen erreicht, das Investoren anzieht. Und das trotz Kriminalität und Korruption. Europa wird sich seinen Realitäten fügen müssen: der Norden setzt sich im Wettbewerb durch über Spitzenprodukte, der Süden kann es nur über niedrige Kosten, bei Arbeit und bei allen Infrastruktur- und Serviceleistungen, schaffen. Die Alternative: Dauertransfers. Wäre das sinnvoll und durchsetzbar? Es gilt auch hier was Paracelsus sagte, es kommt auf die Dosis an, wenig Transfer kann Wunder wirken, etwas zu viel ist bereits Gift (für den Europagedanken, den EU28 Zusammenhalt). Das Britische EU-Plebiszit wird ein Meilenstein sein. Kommt noch dazu, dass in 2017 das Mehrheitsprinzip in der Eu28 ganz realisiert werden soll.

Seien wir doch glücklich über das Erreichte!

Man kann Herrn Jens Weidmann nur zustimmen, freuen wir uns doch endlich mal, was dieser kulturell und wirtschaftlich zutiefst fragmentierte Kontinent an Durchlässigkeit bis heute mit der EU28 ermöglicht hat. Das ist doch eine historische Leistung, von der Friedenssicherung gar nicht zu sprechen. Vielleicht ist mehr für die nächsten drei Generationen gar nicht drin.

*) Und diese Zahlen sind "politisch". Würde man die Deutsche Methode der Erfassung der Arbeitslosigkeit anwenden, so käme man auf  34 Millionen allein Arbeitslose. Und nicht 24 Millionen wie in der offiziellen EU Statistik.

Dr. Johannes Rauter 07.06.2016