Integration Europas – ein Jahrhundertprojekt, ist mit zu vielen falschen Erwartungen belastet. Die EU ist ein Gebilde sui generis und nicht mit den USA, z.B. bezüglich politischer Willensbildung, zu vergleichen. Die Staaten der EU sind in entscheidenden gesellschaftlich/wirtschaftlichen Aspekten grundverschieden. Das EU-Problemportfolio darf also nicht verwundern.
EU Politik hat sich zunächst an diesen Realitäten auszurichten und dann erst an wenigen, sinnvollen, „großen“ Zielen, bei Achtung der Subsidiarität, so meine Meinung.
Warum gelingt es einem Wirtschaftsraum von 500 Millionen Konsumenten nicht so eine Eigendynamik zu entwickeln, so dass für ein bescheidenes Auskommen in der Breite gesorgt ist?
Freihandel ist gut, ein großer Treiber für Wohlstand - aber mit Augenmaß, bitte. Brüssel erscheint da sehr lobby-gesteuert. Und die wahren Motive für so manchen Deal, bleiben oft im Dunkeln (siehe geheime TTIP Sitzungen) oder die Art und Weise wie die Bedingungen für den Export der VR China in die EU 28 zustande gekommen sind.
Die USA haben der EU der 28 gegenüber ein gigantisches Handelsbilanzdefizit, das sich in 2014 lt. Eurostat auf 105 Milliarden € belief und angesichts der Wechselkurserwartungen 1 € = 1 $, sich künftig galoppierend vergrößern wird. Aus US-Sicht ist TTIP daher wichtig. TTIP, obwohl die Zölle, die ein US Anbieter in der EU der 28 bezahlen muss, alles andere als diskriminierend sind (0 % – 10 %, bei Autos, sonst meist 1,7 % - 3,7 %) und gar, wenn er Europa aus seinen Joint Ventures aus China beliefern lässt. Also wird es wohl um die Nicht-tarifären Handelshem-mnisse gehen. Und da sind wir gleich bei den Normen und Standards. Die sollen wohl in erste Linie niedergerissen werden. So sehe ich das Misstrauen der Gruppen und Menschen, die sich dagegen stellen, als nicht unberechtigt.
Aber dramatischer ist der Chinahandel für die EU. Mit der VR China wird – zum Schaden der Südeuropäer - ein „laissez fair“ in der Zollpolitik zugelassen scheint mir: Die Export-Bedingungen für die VR China in die EU 28 sind traumhaft: Ohne local content Forderungen von Seiten der EU, - die aber EU-Unternehmen in China sehr wohl zu erfüllen haben, wollen sie dort Geschäfte machen,- und bei minimalen Zollsätzen (0 - 12 %! - kein Südland der EU has gemerkt?). Ergebnis: die VRCh hatte 2014 einen Handelsbilanzüberschuss von Sage und Schreibe 135 Milliarden € und rechnet man Deutschland heraus, sogar von 169 Milliarden € (2010) gegenüber der EU dieser 27 und 208 Mrd. € 2015. Der Exportüberschuss Chinas in die EU der 27 auf dem Gebiet industriell hergestellter Güter/Güter des verarbeitenden Gewerbes beläuft sich auf ca. 5 % (!) der Wirtschaftleistung der EU 27 (ohne Deutschland) in diesen Wirtschaftszweigen. Exportiert die Region mit den höchsten Arbeitskosten, die EU, nach China werden 10 % - 25 % (Autos) an Zoll fällig.
Dass dieses „Regelwerk“ - nicht allein, aber merklich - zum Einbruch der Industrie in low-tech-Sektoren, Domäne der Südeuropäer, dortselbst beigetragen hat, liegt für mich auf der Hand. Arbeitsplatzverlust dadurch in Südeuropa: 3 - 4 Millionen schätze ich.
Da scheint mir ein mörderischer Wettbewerb zu wirken. Für mich das Hauptärgernis, dass von den Chinesen nicht verlangt wird, zumindest die Hälfte ihres Exportvolumen in die EU der 28 hier vor Ort herzustellen. An diesem Regelwerk ist die Mittel- und Nordeuropäische Industrielobby wohl nicht ganz unschuldig. Die Umwegskosten dieser vermeintlichen Vorteile darf dann der Steuerzahler berappen - Schuldenschnitte im Süden-, da die Wirtschaft dort nicht mehr hinten hochkommt.
Mangelnde „rule of law“ (Spitzenwerte bei der Korruption), fehlende Kataster, unzureichende Steuersysteme, geringe Staatsloyalität, unzureichende industrielle Basis. Wer sollte da investieren?
Politiker und Journalisten vernebeln eine Tatsache: Nur wer tauschbare Güter anzubieten hat, kann auf Wohlstand hoffen. Und dabei steht jeder im Wettbewerb – denn alle wollen Wohlstand. Und wenn man nicht über Leistungsmerkmale gewinnt, dann bleibt eben nur der Kostenwettbewerb. So hart ist das in unserer Welt.
Den Eindruck kann man füglich gewinnen. Und Le Pen et al. steigen auf. Politik gegen die existierende, fragmentierte Wirklichkeit Europas, wie sollte das gehen?
Freihandel, ja. Aber seine Grenzen sind doch dort, denke ich, wo interkontinental Interessen grob verletzt werden. Z.B. Millionenverluste an Arbeitsplätzen in der EU. Ist Wohlstand in China wirklich nur durch Arbeitsplatzverluste z.B. in der EU erreichbar? Ist die heute praktizierte Zollpolitik wirklich im wohlverstandenen Interesse aller? Warum sollte China in der EU der 28 keine local content Forderungen erfüllen müssen? Nur damit Deutschland Handelsüberschüsse gegenüber China erzielt, wie es aktuell der Fall ist? Darüber nachzudenken scheint mir wichtiger als TTIP schnellstmöglich zu verabschieden.
Es bleibt das alte Lied: Das Kapital geht herum wie ein brüllender Löwe und sucht was es verschlingen könnte, um eine Metapher auszuleihen. Ja es sorgt auch für jene Dynamik, die wir alle brauchen. Man nutze seine Kraft, aber Millionen Arbeisplätze in der EU sind deshalb nicht einfach zur Disposition zu stellen!
An den Leser: kennen Sie Fakten die den vorgetragenen Thesen widersprechen, dann möchte ich sie kennenlernen.
Basis der Aussagen zu den Zöllen: Ich habe 10 repräsentative Zollpositionen aus den Zoll-Tarifdatenbanken genommen. Market Accsess Datenbank und ETZ
Dr. Johannes Rauter 06.02.2022