Die Solidarität die Griechenland erfahren hat ist weit größer als das was man unter Solidarität gemeinhin den EU Staaten zumuten kann. Kein zweites Land könnte auf diese Art und Weise zusätzlich gerettet werden.
Es dient der Sache Griechenlands nicht wenn die europäische Öffentlichkeit so unvollständig und unzusammenhängend über das was dort vorgeht und was Griechenland vorhat, informiert wird.
Und es ist für mich unbefriedigend, dass die Hilfspolitik sich so wenig an Realitäten auszurichten scheint.
Griechenland benötigt Geld ohne Ende. Nicht nur, um die Kredite zu revolvieren, auch für laufende Staatsausgaben, da die Steuermoral und damit das Steueraufkommen zu gering ist.
Die Europäer behindern durch Denkverbote oft sinnvolle Maßnahmen. Und das in einem Land das nur 1,8% der EU Wirtschaftleistung ausmacht. Und: Griechenlands Propaganda hat es in die Opferrolle katapultiert. Eine saubere Leistung!
Griechenland hat es mit seiner Verschuldung geschafft, den zehnfachen Betrag zu verschleudern, der ganz Europa 2014 an Risikokapital p.a. zur Verfügung steht (Quelle: evca). Geld, das Unternehmen im Aufbau fehlt. Die Schulden betragen pro Kopf der griechischen Bevölkerung ca. 45.000 €!
Es wird Tiefsinniges geschrieben, was denn den Süden, also Lateineuropa vom Norden unterscheide. Es zeigt sich, dass Länder die "beherrscht" wurden, in unserem Falle im Süden von Normannen, Osmanen, Spaniern, Franzosen, Habsburgern, usf. kaum Staatsloyalität entwickelt haben. Eines ist klar, das Zusammenleben zwischen Regierung und Volk, Kreditnehmern und –gebern, Handelspartnern, Arbeitgebern und Arbeitnehmern kann nur funktionieren, wenn ein Mindestvertrauen gegeben ist und damit Regelwerke funktionieren können. Was hilft die Erkenntnis? Eigentlich nur, dass "Solidarität" in Form von Geld primär nicht hilft. Oder es hilft wie im Falle der alten DDR. Da floss Geld - es waren rd. 112 000 € pro Kopf DDR-Bevölkerung summiert über 20 Jahre - aber nur in Begleitung von Know how und Verwaltungswissen. Auch wenn das manchmal in Besserwessi-Tonlage erfolgte. Und das Ganze fand in einem soliden Rechtsrahmen statt, in den alle vertrauten.
Die Bürgschaften für sicher nicht mehr eintreibbare Schulden gehen bereits weit über das hinaus, was selbst in der wohlverstandendsten europäischen Solidarität einforderbar ist. Das BIP Griechenlands beträgt z.Zeit etwa 210 Milliarden €. Die zulässigen Schulden nach Maastrichter Kriterien wären 60% des BIP also 126 Milliarden €. De fakto bewegen sich die öffentlichen Schulden inzwischen bei rd. 400-450 Milliarden €. Also gibt es einen Abschreibungsbedarf von gut 300 Milliarden €.
Da Staatsloyalität in Griechenland, und wohl nicht nur dort, im Moment fehlen, siehe die Steuerverweigerung, lässt sich Vertrauen nur erreichen, wenn diesem Land ein Korsett eingezogen wird, aus tüchtigen Verwaltungsbeamten. 2000 Spezialkräfte aus Nordeuropa kosteten über 10 Jahre 1,8 Milliarden €. Peanuts verglichen mit den unglaublichen Beträgen die heute nach Griechenland, de facto und als Forderungen fließen. Das wäre ein Gegenpol zum notwenigen Sparprogramm, eine Entwicklungshilfeleistung durch Wissenstransfer. Es wäre eine Frage der Fairness Griechenlands allen Europäischen Steuerzahlern gegenüber, diese Idee - ohne das Gerede von „Würde“, „Erniedrigung“ und „Demokratiedefizit“ – zu akzeptieren. Wer betrügt hat seine Würde ohnehin verloren. Daraus würde sicher auch wichtiges Know how zur Rettung von failed states fließen, als Alternative zur den Methoden des IWF.
Warum die Mehrwertsteuererhöhung Sinn machen soll, solange Steuern nur ganz unzureichend eingetrieben werden, erschließt sich mir nicht.
Schlechte Informationspolitik: Unangebrachte Töne und Propaganda erschweren die Lösungsversuche. Wer nicht transparent unterscheidet zwischen Umschuldungskreislauf und neuem Investitionsgeschehen – verschleiert Realitäten
Die EU muss endlich vor allem informatorisch einerseits zwischen dem Kreislauf "revolvierende Kreditablöse" und andererseits den Probleme aus dem Kreislauf Steuereinnahmen / Steuerausgaben/Neuinvestitionen trennen und dies uns EU Bürgern transparent machen, die ja irgendwann diesen Wahnsinn bezahlen müssen, und dauere das Moratorium 30 Jahre. Es muss gezeigt werden, welche Milliarden nur „rotieren“ und welche Milliarden wirklich investiv eingesetzt werden. Es ist allerdings kein gutes Omen wenn man weis, dass die Griechen nicht mal fähig waren, die für sie vorgesehenen Fördertöpfe der EU auszuschöpfen.
Es ist auch schwer verständlich, dass sich die Institutionen die Blöße geben, dauernd vom Sparen zu reden.Das tut not, sicher. Aber es geht nicht ohne ein tragfähiges Vertrauensgerüst aufzubauen, Wissen zu transferieren, IT Systeme zu installieren die das unterstützen, in einzelnen Pilotprojekten zu zeigen was möglich ist! Die EU, bzw. die Institutionen und Deutschland lassen sich dauern von linken Populisten informationspolitisch in die Defensive drängen. Ohne Not. Mache man doch transparent, wie oft sich die Griechen Problemlösungen widersetzen. Und mache man ganz transparent, was Zusagen waren und wie die Wirklichkeit aussieht.
Warum duldet die EU übrigens, dass Griechenland praktisch mit allen unmittelbaren Nachbarn schwelende Konflikte hat?
Natürlich ist ein Grexit möglich. Das Europa der 500 Millionen Konsumenten wird wohl die 2,2 Millionen Rentner und die 1,8 Millionen Arbeitslosen Griechenlands mit dem Nötigsten für ein paar Jahre versorgen können. Natürlich werden durch die Abwertung die Schulden noch größer. Aber die Perspektive sich auf Märkten durchzusetzen wird steigen. Die Schulden muss man eben nach und nach über 15 Jahre mit verträglichen Schuldenschnitten zurückführen. Die Alternative: die EU bezahlt die laufenden Staatsausgaben Griechenlands. Das ist Unsinn und wird die EU sprengen. Der Austritt Griechenlands aus dem € ist dagegen von der Wirkung her klein und beherrschbar.
Es passt nicht zusammen: Selbstverschuldete Schuldenkrise, kein Wille substanziell mitzuarbeiten (Ignorieren der Liste der Steuerflüchtigen, Ablehnung von Beratungsangeboten usf.), Klagen, man werde „unwürdig“ behandelt, trotzdem weiter Geld einfordern Wer nicht mehr beherrschbare Schulden macht, der gibt freiwillig seine Souveränität ab. Da ist nicht mehr über demokratische Prozesse zu reden - jedenfalls, solange man noch Unterstützung erwartet. Wo bleibt das europäische Insolvenzrecht für Staaten?
Abwanderung: Wenn es keine Perspektiven gibt, dann bleibt nur die Abwanderung. Die neuen Bundesländern haben trotz der massiven Hilfen seit 1990 rd. 13 % der Bevölkerung verloren. Bezogen auf Griechenland wären das 1,3 Millionen Menschen.
Dann müssen transparente Leuchttumrprojekte initiiert werden, an denen sich die 2 000 reichsten griechischen Familien beteiligen sollen, die aber nicht von Griechen zu managen wären. Es geht doch darum zu zeigen, dass etwas wachsen kann. Z.B. Solarkraftwerke wie in Spanien, oder Projekte die es den Griechen ermöglicht, das Land samt seinen Touristen selbst mit landwirtschaftlichen Produkten zu versorgen.
Warum gibt es keine Ölförderung in griechischen Gewässern? Fürchtet man um die Wirkung auf den Tourismus?
Es ist ein Unding, dass Griechenland Lebensmittel importieren muss. Es hat bei „food and live animals“ einen Importüberhang. Es sei nicht verschwiegen, auch Italien hat einen Importüberschuss. Das kleine Dänemark, hat einen deutlichen Exportüberschuss. Dänemark exportiert doppelt so viele landwirtschaftliche Produkte in € pro Kopf der Bevölkerung als Griechenland.
Dafür kann nun Griechenland nichts und es beeinflusst seine Wirtschaftsentwicklung außerhalb des Tourismus enorm: Faktor Freihandel mit China. In 2014 betrug der Außenhandelsüberschuss gegenüber den EU 27 (ohne Deutschland) rd. 150 Milliarden. 2015 werden es an die 180 Milliarden werden. Dividiere ich diese 150 Milliarden durch das BIP/Kopf der erwerbsfähigen Griechen von 32 000 €, dann kommt da eine Zahl von etwa 5 Millionen heraus. Das dürfte die Größenordnung der Arbeitsplatzverluste durch den Freihandel mit China in Südeuropa sein. Ein Freihandel ohne local content Forderungen! Auch das gehört zu den Realitäten, von denen man nie etwas zu hören bekommt.
Fazit: Eine gute Politik zur Rettung Griechenlands kann nur an der ungeschminkten Realität ansetzen. Wer glaubt es ginge anders, wird meiner Meinung nach sicher scheitern. Wer glaubt die Grundlogik der Marktwirtschaft, auch der sozialen, aushebeln zu können mit schönen Worten vom "sozialen, neuen Eurpa" steht nicht auf dem Boden der Realitäten. Auch Marx scheiterte an einer großen Kleinigkeit: der neue Mensch enstand nicht, er blieb der alte!
Dr. Johannes Rauter 24.08.2015